28./29. November 2015 taz. die tageszeitung


Sturm der Liebe


In der Commerzbank-Filiale am Olivaer Platz arbeitet nur ein Bankangestellter an der Kasse – dementsprechend lang ist die Schlange. Eine teuer angezogene ältere Dame mit gelblich blondierten Haaren, starkem Make-up und sehr hohen Pumps wartet hinter einer jungen Mutter mit Baby, das sich im Halbschlaf befindet.

Die blondierte Dame beugt sich ohne Vorwarnung über den Wagen, starrt das Baby aus nächster Nähe eindringlich an, wendet sich dann der Mutter zu und sagt mit schriller Stimme: „Das ist ein ganz Lieber, oder?“

Die Mutter presst die Lippen zusammen und nickt der älteren Dame mit hochrotem Kopf zu. Die fährt fort: „Der schreit nicht die ganze Zeit, oder?“ Die Mutter schüttelt mit noch stärker zusammengepressten Lippen den Kopf. Die Dame beugt sich wieder über den Wagen, mustert das Baby erneut eindringlich und sagt: „Bist ein ganz Lieber, nicht? Ganz lieber Junge für die Mama. Nicht wie der Kleine, na? Wie heißt er nun? Ich komm nicht drauf.“

Sie wendet sich wieder der Mutter zu. „Nicht wie der Sohn von den Jungschen in ,Sturm der Liebe‘ da, nicht wie der Jonathan. Der Jonathan ist ja so wahnsinnig anstrengend. Der raubt seinen armen Eltern noch den letzten Nerv. Die machen alles für ihn, und der hört nie auf – ein richtiges Schreibaby.

“Das Baby im Wagen fängt an zu weinen. Die Mutter wirft der älteren Dame einen bösen Blick zu, nimmt das Baby aus dem Wagen und versucht es mit Schunkeln und Summen zu beruhigen. Das Baby blinzelt die Dame von der Schulter seiner Mutter aus durch das grelle Banklicht an und weint immer lauter.

Die Dame springt einen Schritt zurück und ruft entsetzt: „Oh Gott, was hat er denn jetzt mit einem Mal nur? Warum schreit er denn auf einmal so?“